„Insult someone!“ – Warum das ADC Festival 2024 Lust auf Streit macht
Change the world with creativity. So lautete das Motto des ADC Festivals 2024 in Hamburg. Dabei wurde nicht nur diskutiert, wie sich Marken mit innovativen Ansätzen aufmerksamkeitsstark positionieren können, sondern auch, was die Gesellschaft derzeit beschäftigt. Mitgenommen haben wir: Es braucht mehr Verantwortung, Emotion und vor allem: Beleidigung. Aber von Anfang an.
Jedes Jahr findet das Klassentreffen der Kreativ- und Kommunikationsbranche im Hamburger Schuppen52 statt. Hier reflektiert die Branche den Status Quo und die Zukunft ihrer selbst. Warum das wichtig ist? Weil das Festival unterstreicht: Wer Kampagnen-Erfolge feiern will, setzt auf kreatives Storytelling. Im Idealfall geht es dabei um mehr als Werbewerte und Reichweiten. Denn kreative Arbeit hat die Kraft, die Welt nachhaltig zu verändern, um soziale, wirtschaftliche und ökologische Probleme zu lösen. Fragt sich nur: wie?
Rund 70 Speaker*innen suchten vergangenen Donnerstag nach Antworten. Darunter der Musiker Ski Aggu und Rapper Eko Fresh, die Regisseurin Nora Fingscheidt sowie die Star-Architekten Bjarke Ingels und Hadi Teheran. Während das Programm auf der Congress Stage in Panels und Keynotes vor allem auf Wissensvermittlung und kreativen Austausch konzentrierte, lieferte die Business Stage wirtschaftliche Perspektiven. Nicht jedoch, ohne uns mit Fragen und Aufgaben heimzuschicken.
Was ist hängengeblieben?
- Nostalgie vs. Fortschritt
Talks wie „Emerging Trends in Content Creation und Branding“ diskutierten die Rolle von Nischeninhalten auf Audio- und Video-Plattformen. Die These von Spotify und YouTube: Bei der Content-Generierung finde durch die Zugänglichkeit von KI-Tools eine Demokratisierung statt – und damit auch eine Diversifizierung. Gleichzeitig seien „Heritage-Inhalte“ mit Fokus auf Vertrautes und Nostalgie am erfolgreichsten. Auf das gesellschaftspolitische Klima und die Verantwortung der Branche bezogen ein alarmierendes Zeichen. Immerhin schließt der Rückbezug auf Vergangenes diejenigen aus, die systematisch bei der Vergangenheitsschreibung ausgeschlossen wurden. Und findet Kreativität im permanenten Rückbezug auf Vergangenes nicht ihr Ende? Geht es um gesellschaftlichen Wandel, sollten kreative Kampagnen bestehende Sehnsüchte herausfordern, statt diese ungefiltert zu reproduzieren. - Mehr Gefühl, weniger Stereotypen
Apropos Videoinhalte. Wir brauchen nicht darüber zu diskutieren, ob KI noch wegzudenken ist (Spoiler: natürlich nicht). Spannender war die Erkenntnis des Panels „Sora – Stehen wir vor einer Flut aus KI-Werbefilmen“: KI kann nach wie vor keine Emotionen. Zusätzlich kommt die Technologie mit einem vereinheitlichenden Stil statt kreativer Diversifizierung daher. Schnell, bunt, laut, für den kleinen Screen. Und vor allem mit wiederkehrenden Stereotypen. Auch KI speist sich aus dem, was bereits existiert. Bei unhinterfragter Nutzung drohen Rückwärtsgewandtheit und die Reproduktion problematischer Ismen. Aufgabe wird es für die Zukunft also weiterhin sein, die aus KI entstehenden Inhalte, Geschichten und Charaktere kritisch zu prüfen, mit echten Emotionen zu füllen und kreativ weiterzuverarbeiten. - Abseits von Gut und Böse
Wie Geschichten abseits von Stereotypen gehen, zeigte uns die deutsche Regisseurin Nora Fingscheidt in „Directing Emotions, mastering Drama“. Nach ihrem Kino-Erfolg „Systemsprenger“ über ein „Problemkind“, das zu jung für die Psychiatrie, aber zu überfordernd für den Rest der Welt ist, rief Hollywood bei ihr für den Film „The Unforgivable“ mit Sandra Bullock an. Im November startet bundesweit der Film „The Outrun“ mit Ladybird-Star Saoirse Ronan, der auf dem Sundance Festival mit Begeisterung aufgenommen wurde. Was uns der Erfolg zeigt? Es lohnt sich, komplexe Figuren zu erzählen, die nicht das bekannte Narrativ von Gut und Böse unterstützen. Nora Fingscheidt selbst: „Wir brauchen emotionale Grautöne“. Der Appell: Wer generalisiertem Storytelling folgt, scheitert darin, reale Emotionen in einer komplexer werdenden Welt zu vermitteln. - Provokation für Wandel
Was uns zum entscheidenden Punkt bringt: den Beleidigungen. Werbetexter Bas Korsten rief im Talk „How to make mammoth meatball“ dazu auf: „Insult Someone!“. Für das australische Unternehmen Vow Food hatte er die Idee, mit fortgeschrittener molekular Technik und Zellen des Wollmammuts ein überdimensionales Fleischbällchen herzustellen. Das Ergebnis wurde letztes Jahr enthüllt. Gleichzeitig wurde eine hitzige Diskussion über die Fleischindustrie, den weltweiten Konsum von Fleischprodukten und nachhaltigen Alternativen entfacht. Ein Diskurs, der auch wutentbrannte Verfechter*innen der Fleischproduktion auf den Plan rief. Bas Korsten dazu: „Zum Glück, denn eine Kampagne, die gesellschaftlich etwas verändern will und keine Kritiker*innen auf den Plan ruft, ist keine Kampagne mit Impact“.
Und was machen wir jetzt damit?
Wir merken uns: Es ist ok, wenn Kampagnen zu Streit führen. Oder besser gesagt: sogar nötig, wenn die Kontroverse gemeinschaftsorientiertes Nachdenken anregt. Für die Branche bedeutet das, immer wieder neu zu prüfen, was gesellschaftlich bewegt. Kreatives und emotionales Storytelling kann die Welt da verändern, wo bestehende Normen hinterfragt und neue Perspektiven eröffnet werden. Na dann – auf ans Werk!
Carina Hartmann
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