08.03.2021

Benötigen wir einen Welt-Frauentag? Verdammt, ja!

Ein Auszug aus dem nachfolgenden  Text erschien zum heutigen Weltfrauentag bei W & V 

Jede einzelne Frau auf dieser Welt hat durch eigene Erfahrungen eine Vielfalt an Herabwürdigungen, und Gewalt durch Männer erfahren. Diese Geschichten beginnen nicht erst, wenn man eine Frau per Definition ist, sondern bereits als Mädchen, als Kind. Und das nur aus dem einen Grund, weil sie ein weibliches Wesen ist. Es beginnt mit solchen Geschichten: Du bist 12 Jahre alt und eine Horde von erwachsenen Männern pfeift dir hinterher, weil du ein Röckchen trägst. Du bist 15 Jahre alt und ein Mann von 45 Jahren erklärt dir, dass er dich ungemein sexy findet. Über sexuelle Erniedrigung am Arbeitsplatz erzählte mir meine Tochter, dass es bei einer Freundin eine eigene Chat-Gruppe der männlichen Mitarbeiter gab, in der sie darüber schrieben, wer sexy sei – inklusive der Geschäftsleitung. Je höher die Position, desto subtiler werden die Übergriffe. Setzt man sich als Frau durch, wird man gerne als Zicke deklariert, Männer hingegen gelten als knallharte Verhandler und werden dafür bewundert. Ein Satz wie: „Hat die heute ihre Tage? Die ist ja drauf!“, ist Realität. Und das sind noch die harmlosen Geschichten.

Von 1978 bis 1982 habe ich in Chile gelebt. Das war nach dem Militärputsch. Frauen hatten im täglichen Leben eine schwere Stellung. Sie waren absolut abhängig von ihren Männern. Zu dieser Zeit war es üblich, dass dem Mann wöchentlich der Lohn ausgezahlt wurde, den er sehr gerne in Alkohol umsetzte. Es gab nicht wenige Frauen, die ihre Männer direkt nach der Arbeit abfingen, um wenigstens ein bisschen Geld für den Haushalt zu bekommen und ihre Kinder ernähren zu können. Häufig haben die Männer daraufhin ihre Frauen öffentlich verprügelt. Das war vollkommen normal. Der Mann durfte das! Es gibt dort das Sprichwort: Wer dich liebt, der schlägt dich. Noch immer kommen viele Frauen durch die Hand ihrer Ehemänner um. Die Zahl der Femizide ist hoch. Heute werden sie veröffentlicht, um dafür ein Bewusstsein zu schaffen. Häusliche Gewalt ist in Chile erst seit dem Jahr 2005 strafbar. Chile ist ein Beispiel. Weltweit erfährt jede dritte Frau in ihrem Leben psychische oder sexualisierte Gewalt durch einen Mann.

Ich selbst bin sehr liberal in einem linksorientierten zu Hause mit drei Geschwistern aufgewachsen. Ich war eine echte Pipi Langstrumpf, zwar mit blonden Haaren, aber die Sommersprossen und die schlacksige Figur stimmten. Fussball, auf Bäume klettern, mit Autos spielen. Das fand ich großartig. Mit Barbies konnte ich gar nichts anfangen. Klamotten, Haare, Mode waren mir egal. Das habe ich erst viel später von meiner älteren Schwester mitbekommen. Ich trug meine Kleidung, wie ich wollte. Oft auch Hemden von meinem Vater, die abgelegten Kleider meiner Schwester. Ich wurde für mein Verhalten nicht verurteilt.

In Chile war es das erste Mal in meinem Leben, dass ich mich an ein bestimmtes Frauenbild anpassen musste. Das Land ist streng katholisch. Ich weiß noch, wie eine meiner damaligen Schulkameradinnen kurz vor einer Party sagte: „Inger, die Achselhaare müssen wir aber noch wegmachen. So etwas geht hier gar nicht!“ Ich war schockiert, machte aber mit, weil ich Ausländerin war und dazugehören wollte. Heute gibt es langsam eine Rückwärtsbewegung. Es werden wieder Achselhaare gezeigt, die Haare an den Beinen stehengelassen.

Ich finde, dass wir Frauen auch in der Verantwortung sind, uns selbst zu hinterfragen. Ich habe irgendwann begriffen, dass ich nicht in das von der Gesellschaft ausgelobte „normale Frauenschema“ passe. Es gibt für mich kein, das ist ein Frauenjob, das ist ein Männerjob. Ein gutes Beispiel: Mein Mann hat eine Firma, in der Filmbauten hergestellt werden. Eines Tages bin ich mit meinem Fahrrad hingefahren und hatte plötzlich einen Platten. In der Werkstatt habe ich angefangen, den Platten zu flicken. Ein Mitarbeiter kam auf mich zu und meinte: „Inger, das ist doch kein Frauenjob. Soll ich das nicht machen?“ Ich war darüber vollkommen irritiert. Sicherlich, er wollte nett sein, aber wird heute tatsächlich noch so gedacht?

Ich finde es sehr wichtig, dass gerade Mütter und Väter ihre Kinder von diesem Schubladendenken befreien und ihnen dadurch mehr Selbstvertrauen geben. Das ist auch etwas, was ich versuche, den jungen Frauen bei uns in der Agentur zu vermitteln. Es ist egal, was die Leute über dich denken. Wichtig ist, wie du über dich denkst. Bist du mit dir authentisch? Mit deinem Handeln? Frage dich immer, wie möchtest du behandelt werden? Wirst du schlecht behandelt, dann werde laut und mache darauf aufmerksam. Lass dir nichts gefallen, womit du dich schlecht fühlst.

Unsere Welt wurde von Männern geschaffen. Das beginnt beim christlichen Glauben mit der Erschaffung der Welt durch Gott. Die Gesellschaft hat hierauf aufgebaut und dem Mann diese Wertigkeit zugeordnet. Davon müssen wir uns entfernen. Wir alle sind dafür verantwortlich, eine gleichberechtigte Welt zu ermöglichen.

Frauen haben eine Stimme, wir müssen lernen, sie zu benutzen. Das müssen Männer nicht. Ihnen wird von Geburt an eine Stimme gegeben.

 

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